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Interview mit Dave Whiteman

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·
Oktober 1990


· · · · · · · · Mr. Whiteman, Sie werden von der Fachliteratur in der Regel in den Bereich der Neo-Konzeptkunst eingeordnet. Wie hat sich Ihr Konzeptansatz entwickelt?
axiomatisch begründete Kunsttheorie Whiteman: Grundlage für meine Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst ist ein sehr theoretischer Ansatz. Es handelt sich dabei um eine axiomatisch begründete Kunsttheorie. Nach diesem Ansatz existiert eine Reihe von Axiomen, die aus den vielen existierenden Kunsttheorien gewonnen wurden. Diese Theorien beschäftigen sich letztlich alle mit den Fragen 'Was ist Kunst` oder `Ist ein konkretes Werk einer bestimmten Kunstrichtung zuzuordnen`. Bildet man nun sinnvolle Kombinationen aus dieser Menge von Axiomen, so ergibt sich jeweils eine konkrete Kunsttheorie.
· · · · · · · · Welche Eigenschaften hat eine so gewonnene Kunsttheorie?
  Whiteman: Sie beantwortet eindeutig die Frage, ob ein Werk Kunst ist. Wenn eine Werkeigenschaft den Axiomeigenschaften entspricht, dann ist dieses Werk ein Kunstwerk im Sinne dieser konkreten Kunsttheorie. Entspricht es nicht den Axiomeigenschaften, so ist es eben kein Kunstwerk im Sinne dieser Theorie.
· · · · · · · · Verschiedene Axiome können aber gegensätzliche und widersprüchliche Theorien erzeugen.
  Whiteman: Um Widersprüche zu vermeiden, müssen die Axiome nach einer kombinatorischen Verknüpfung darauf überprüft werden, ob die so entstandenen Kunsttheorien auch konsistent sind. Es dürfen z.B. keine gegenteiligen Axiomeigenschaften verknüpft werden. Man kann auf diese Weise die Menge aller sinnvollen Axiomverbindungen bilden. Diese Menge erzeugt die Menge aller konsistenten Kunsttheorien durch eine 1:1 Projektion.
· · · · · · · · Ihr Ansatz erscheint mir sehr pluralistisch und antihierachisch. Verliert er dadurch nicht an Aussagekraft?
  Whiteman: Es gibt keine wirklich begründbaren Regeln, die eine Rangfolge von Kunsttheorien nach ihrer Gültigkeit erzeugen. Daher kann nur eine Gleichberechtigung aller Möglichkeiten als Lösung dieses Problems angesehen werden.
· · · · · · · · Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Ansatz für den ausübenden Künstler?
  Whiteman: Es folgt daraus, daß eine maximale Stilvielfalt die einzige Beschreibungsmöglichkeit des Phänomens Kunst sein kann. Konkret heißt das, daß jedes Werk, das einer axiomatischen Kunsttheorie entspricht, ein Kunstwerk sein kann.
· · · · · · · · Warum benutzen Sie diese Einschränkung?
  Whiteman: Diese Einschränkung halte ich für sinnvoll. Ein Werk wird zum Kunstwerk, wenn ein Künstler explizit erklärt, daß dieses Werk seiner Auffassung von Kunst entspricht. Dies geschieht in der Regel durch die Veröffentlichung. Das Werk wird damit zu einer oder mehreren Kunsttheorien zugeordnet und wird damit zu einem Kunstwerk.
· · · · · · · · Wie läßt sich aber die Frage beantworten, wer letztlich Künstler ist?
  Whiteman: Die Frage wer Künstler ist, läßt sich nur auf einem pragmatischen Weg beantworten. Künstler ist derjenige, der erklärt, ein Künstler sein zu wollen. Eine Ausbildung bezüglich der Kenntnis der Kunsttheorien ist insofern nützlich, da der Künstler wissen sollte, welche Theorien existieren. Das hat aber eigentlich nur arbeitsökonomische Aspekte. Der Künstler erspart sich damit viel Arbeit einen angeblich eigenen Standpunkt zu suchen. In der Menge aller axiomatischen Kunsttheorien sind alle sinnvollen Standpunkte bereits enthalten.
· · · · · · · · Und wie verhält es sich mit den praktischen Ausführungen?
  Whiteman: Was eine Ausbildung bezüglich der handwerklichen Fähigkeiten betrifft, so ist diese dann notwendig, wenn bestimmte formale oder technische Fähigkeiten Voraussetzung für einen Stil sind. Es ist nun einmal nicht möglich ohne solche Fähigkeiten, z.B. hyperrealistische Bilder zu malen. Wohl ist es aber möglich, das Malen durch andere technische Verfahren zu ersetzen, um solche Stile zu erzeugen.
· · · · · · · · Sie werden oft in Verbindung mit Appropriation-Art gebracht. Vor allem weil Sie in Ihren Arbeiten auch bestehende Motive verwenden und verändern. Dieser Aspekt fehlt bisher in Ihrer Erläuterung Ihres Kunstkonzeptes.
  Whiteman: Das klassische Erklärungsmuster der AP-Art ist für mich von geringem Interesse. Die Motivaneignung um auf die Stellung des Orginalbegriffes in der Gegenwartskunst aufmerksam zu machen, überlasse ich anderen. Dieser Aspekt ist mir zu einseitig. Auch haben Sturtevant und Levine diesen Aspekt schon aufgegriffen und hinlänglich bearbeitet. Mich interessiert zum einen die Stillosigkeit, die aus dem AP-Art Konzept folgt. Zum anderen aber auch die Möglichkeit durch Variationen von Motiven und deren Kombination und Anordnung neue Werke zu schaffen. Es geht also um die Erforschung der Grenze zwischen Anhäufung von Altem und Variation zu Neuem.
· · · · · · · · Anscheinend wollen Sie auf diese Weise die Grenze zwischen Reproduktion und Kreativität erforschen.
  Whiteman: Grundlegender Ausgangspunkt meines Ansatzes ist meine Auffassung der allgemeinen Kreativität. Kreativität teile ich in zwei grundlegende Aspekte ein, die sich durch ihre Auswirkungen unterscheiden. Das ist zum einen die künstlerische, zum anderen die technische Kreativität. Gemeinsam haben beide den Prozeß der mit ihnen abläuft. Ausgangspunkte waren für mich Erkenntnisse der biologischen Erkenntnistheorie und der Evolutionsstrategie-Forschung. Kreativität entsteht nach diesen Ansätzen dadurch, daß kognitive Elemente zu neuen Einheiten kombiniert werden. Es werden alte Verknüpfungen gelöst und neue ausprobiert. Diesen Prozeß nenne ich in Analogie zur Evolutionsstrategie kognitive Mutation. Er findet zum Teil zufällig, zum anderen Teil durch gelernte Erfahrungsregeln statt, die sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen haben.
· · · · · · · · Im Bewußtsein finden solche Prozesse aber nicht statt?
  Whiteman: Auf jeden Fall ist dieser Prozeß vorbewußt. Nur das Ergebnis, also die neue Verknüpfung kognitiver Elemente, tritt als neue Idee in unser Bewußtsein. Dann erst beginnt eine bewußte kognitive Selektion, die neue Ideen verwirft oder akzeptiert. Der Unterschied zwischen künstlerischer und technischer Kreativität besteht in der Art und Enge der Selektion. Ein individueller Künstler verwirft alle Ideen, die nicht in seine Kunsttheorie passen. Ein Techniker verwirft alle Ideen, die gegen physikalische Gegebenheiten oder ökonomische Restriktionen verstoßen. Bei der technischen Kreativität ist die Selektion der Ideen viel enger ausgelegt, da die Anzahl und Strenge der Restriktionen viel stärker wirken.
· · · · · · · · Was folgt aus dieser Ansicht über Kreativität für Ihre tägliche Arbeit?
  Whiteman: Ich bevorzuge keinen Stil oder eine bestimmte Erzeugungstechnik bei der Produktion von Kunst. Daher findet bei mir eine Selektion der Ideen nur durch die prinzipiellen technischen Realisationsmöglichkeiten statt, d.h. ich verwende eine maximale Selektionsbreite. Keine Idee wird letztendlich von mir verworfen. Sie wird höchstens modifiziert. Alle werden in ein Gesamtkonzept nebeneinander geordnet. Ich suche dann nach Regeln wie ich diese Ideen miteinander verknüpfen kann, sodaß letztendlich ein gigantisches Netzwerk aus tausenden von verknüpften Einzelideen entstehen soll.
· · · · · · · · Wie weit ist die Realisation dieses Netzwerkes fortgeschritten?
  Whiteman: Die Darstellung ist bislang nur verbal angelegt. Die Möglichkeiten die Hypertext-Systeme hier bieten, werde ich zukünftig verstärkt nutzen, da sie der Repräsentation des Netzwerk-Gedankens am ehesten entspricht. Doch die Verbalisierung des Netzes soll nicht der Endpunkt sein. In den nächsten zehn Jahren werden die jetzt absehbaren Möglichkeiten von Hypermedia-Systemen in einer professionellen Weise realisiert werden können. Vor allem optische Speicher mit schnellem Zugriff auf Bilddaten spielen bei der Realisation des Netzwerkes in einer fortgeschrittenen Version eine entscheidende Rolle.
· · · · · · · · Welches Ziel verfolgen Sie mit einer solchen Strategie?
  Whiteman: Ziel ist die Einbeziehung aller wichtigen künstlerischen Elemente aus der Geschichte der bildenden Kunst in mein Netzkonzept. Vorstellbar ist eine große Bilddatenbank mit hunderttausenden von Werken aller wesentlichen Künstler und Epochen. Eine solche Datenbank muß nicht zentral bei mir verwaltet werden. Es gibt Pläne und Ansätze von verschiedenen Stellen solche Systeme zu etablieren.
· · · · · · · · Von welchen Seiten kommen diese Pläne?
  Whiteman: Zum einen vom Kunsthandel, z.B. den großen Auktionshäusern. Diese haben schon heute gigantische Bilddatenbanken auf Mikrofilm von Kunstwerken, die sie im Laufe der Jahrzehnte versteigert haben. Bei einem erheblichen Preisverfall der optischen Speicher werden diese Datenbanken aus Kostengründen nicht mehr auf Mikrofilm archiviert werden. Schon heute kann man Mikrofilmdokumentationen über bestimmte Themengebiete erwerben. Es besteht also kein Grund zur Annahme, daß bei einer Umstellung auf optische Speicher diese Daten dann nicht zugänglich wären.
· · · · · · · · Spielen Museen bei solchen modernen Archivierungsmethoden nicht auch eine bedeutende Rolle?
  Whiteman: Vor allem amerikanische Museen leisten hier Pionierarbeit. Vor allem das Getty Museum.
· · · · · · · · Auch Computerhersteller stellen Bildarchivierungssysteme zur Verfügung. Doch was geschieht dann mit den Bilddaten?
  Whiteman: Ich betrachte die gesamte Kunstgeschichte als Rohstoff für meine Exploration der künstlerischen Kreativität. Ein Teil meiner Subkonzepte beschäftigt sich mit der Variation und Veränderung von gegebenem Material. Ein anderer Teil beschäftigt sich mit der Verallgemeinerung von Motiventstehungen.
· · · · · · · · Was meinen Sie mit Verallgemeinerung?
  Whiteman: Jedes Motiv, ob gegenständlich oder abstrakt, ist aus verschiedenen Elementen komponiert. Extrahiert man diese Elemente verbal, so ergibt sich eine verallgemeinerte Auflistung von Motivelementen. Diese Elemente kann man auf einer verbalen Ebene zu neuen Motiven kombinieren. Dieses Motiv kann dann realisiert werden.
· · · · · · · · Entwickeln Sie noch andere Subkonzepte?
  Whiteman: Ein dritter Teil meiner Konzepte beschäftigt sich mit der Kombination von verschiedenen Bildern und Objekten und ihre Präsentation. Das alles zusammen mit der Integration in das Netzwerk ist eine Art Lebenswerk und kommt wahrscheinlich einer klassischen Auffassung eines Gesamtkunstwerkes nahe. Interessant ist der Gedanke, den Aufbau eines solchen Netzes nicht nur meinen beschränkten kreativen Fähigkeiten zu überlassen, sondern das kreative Potential Anderer mit einzubeziehen. Diese können dieses Netzwerk unabhängig von mir immer weiter verfeinern und erweitern.
· · · · · · · · Dieses Verfahren erinnert doch an die von Ihnen geäußerten Vorstellungen über die Kunstproduktion.
  Whiteman: Es gibt da enge Verbindungen. Meiner Ansicht nach sollte die Kunstproduktion, zumindest aber die Realisation, unabhängig von den physischen Möglichkeiten und Einschränkungen des Künstlers geschehen. Ob durch Assistenten, die malen oder durch technische Verfahren spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Dieser Standpunkt wird auch von den Vertretern der Konzeptart, wie Sol LeWitt vehement eingenommen. Mein Gedankengang geht aber noch etwas weiter. Er schließt die Generierung neuer Kunstideen oder die Aneignung gegebener Ideen mit ein.
· · · · · · · · Erinnert das nicht an das Vorgehen von Mark Kostaby?
  Whiteman: Teilweise, doch es gibt auch Unterschiede. Praktisch macht Kostaby nichts. Er läßt Ideen und Realisation von anderen Leuten ausführen, die er dafür eher schlecht bezahlt. Das einzige, was er aktiv macht, ist, daß er dieses radikale Konzept der Fremdgenerierung von Kunst sich ausgedacht hat, daß er die Leute aussucht, die für ihn arbeiten und daß er die fertigen Werke signiert. Natürlich kommt noch hinzu, daß er bis zu 35000 $ pro Werk kassiert für die 2-3000 Werke, die er jährlich produzieren läßt. Mein Konzept sieht dagegen ein von mir in den Grundzügen entworfenes Netzwerk aus Ideen vor, das ständig erweitert wird. Ziel ist es, eine Organisationsform zu schaffen, z.B. in der Form einer Stiftung, welche die Aufgabe hat, selbst posthum dieses Netzwerk zu erweitern, und die realisierten Werke zu vermarkten. Es kommt mir also darauf an, die Generierung von Kunstideen von einzelnen Individuen unabhängig zu machen, und an die Stelle des Einzelkünstlers variable Forschungs und Entwicklungs-Gruppen zu stellen. Diese sollen die gesetzten Rahmenbedingungen ausfüllen, bis ein Maximum an sinnvoller Verflechtung aller Erzeugunstechniken verwirklicht ist.
· · · · · · · · Das klingt sehr nach den Ideen des Gesamtkunstwerkes und der künstlerischen Unsterblichkeit, beides Ideen aus dem 19.Jahrhundert.
  Whiteman: Sicher hat der Gedanke der Unsterblichkeit etwas damit zu tun. In dem Sinn, daß Kunstideen dadurch unsterblich werden, daß sie vom Einzelkünstler unabhängig werden. Es wird aber damit die Idee des genialen Einzelkünstlers des Barock endgültig überwunden. Das Konzept steht daher eher im Gegensatz zur Idee der Unsterblichkeit des Einzelkünstlers.
· · · · · · · · Diese Konzeption unterscheidet sich aber stark von den Konzeptionen bisheriger Künstler.
  Whiteman: In ihrer Radikalität schon, aber ganz neu sind diese Ideen nicht. Das klassische Beispiel für einen Vorläufer ist Vasarely. Er entwickelte eine künstlerische Syntax, die unabhängig von ihm existiert und aus der durch Variation eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Kunstwerken entstehen kann. Auch er hat die Ausführungen seiner Arbeiten Assistenten überlassen. Doch wenn man an die Vielzahl von Kunstwerkstätten in den vergangenen Jahrhunderten denkt, so ist das Phänomen der Fremdausführung keineswegs auf das 20. Jahrhundert beschränkt. Rembrandt oder Rubens hatten große Werkstätten mit zum Teil Dutzenden von Assistenten, welche den Großteil der Arbeiten durchführten. Meistens natürlich die Arbeiten, die unangenehm oder langweilig sind. Man kann also sagen, daß die Idee schon sehr alt ist, die radikale Ausführung erst in Zukunft verwirklicht werden wird.
· · · · · · · · An anderer Stelle sprachen Sie von verschiedenen Produktionsweisen der Kunst, auch im Zusammenhang mit den Werkstätten von Rembrandt und Rubens.
  Whiteman: Das Phänomen der Produktionsarten und ihrer Veränderung ist ein zentrales Element meiner kunsttheoretischen Untersuchung. Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß im Bereich der technischen Kreativität im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Produktionsarten sich abwechselten. Seit den ökonomischen Klassikern ist ja bekannt, daß es eine Entwicklung von der Werkstattproduktion über Manufakturbetriebe bis hin zur Massenproduktion durch das Fließband gab. Im Bereich der künstlerischen Kreativität hat sich die Produktionsart aber im wesentlichen seit dem Mittelalter nicht mehr geändert. Sieht man von hinlänglich bekannten Ausnahmen aus dem Bereich der Konzept-Art einmal ab. Der Maler arbeitet genau so in seinem Atelier wie seit Jahrhunderten, als ob alle Veränderungen der Gesellschaft und der technischen Produktion für ihn nicht existierten. Selbst konzeptionell weit fortgeschrittene Künstler, wie Sol LeWit, sind dem Atelier-Assistenten-Gedanken noch zu stark verbunden. Bei ihm wird der Assistent zur Variablen, er bleibt aber noch Mensch. Grundlegende Veränderung wird meiner Ansicht der zunehmende Gebrauch des Computers zur Planung, Konzeption und Ausführung von Kunst bringen. Durch Verfahren, wie dem Großbildplotter, der amerikanischen Firma "Computer Image Systems" wird die Ausführung zunehmend technisiert und vom Künstler oder Assistenten unabhängig.
· · · · · · · · Werden solche Verfahren schon genutzt?
  Whiteman: Außer mir wird dieses Verfahren durch Joseph Nechvatal genutzt. Daß solche innovativen Verfahren an Bedeutung gewinnen, und vom Kunstmarkt ernst genommen werden, zeigt sich daran, daß Nechvatal auf der Documenta 8 vertreten war. Aber neu ist dieser Gedanke nicht. Seit der Erfindung der Photographie und ihre Nutzung durch Künstler, besteht die Möglichkeit der Künstler unabhängigen Produktion von Kunst.
· · · · · · · · Wie wird sich diese Entwicklung Ihrer Ansicht nach fortsetzen?
  Whiteman: All das ist nur der halbe Weg. Immer noch ist der Künstler derjenige, der irgendwo sitzt, ob vor der Staffelei oder dem Computer, und der Ideen erzeugt und sie selektiert. Naheliegend wäre hier eine Erweiterung dieser Konzeption in Analogie zur factory of the future und darüber hinaus. Nicht nur die materielle Produktion des Kunstwerkes, sondern auch die Generierung von Ideen ist maschinell denkbar. Die Evolutionsalgorithmen sind bekannt und werden bei Optimierungsproblemen zumindest im Labormaßstab genutzt. Von der prinzipiellen Machbarkeit spricht bis dato nichts dagegen, daß ein AI-System basierend auf einem Netzwerk, wie dem von mir in Arbeit befindlichen, sich durch Evolutionsstrategien selbst erweitert. Von der mythologisierenden Auffassung der Aufklärung über Geist und Kreativität bin ich schon lange abgerückt.
· · · · · · · · Ist diese Entwicklung in Ihren Augen zwingend?
  Whiteman: Ich halte es nicht nur für möglich, sondern auch den Umständen entsprechend, wenn solche kunstgenerierenden Systeme angestrebt werden. Wir befinden uns auf dem Gebiet der technischen Kreativität im Übergang von der Informationsverarbeitung zur Wissensverarbeitung. Es wäre also durchaus konsequent, wenn es zur Kunstverarbeitung unabhängig vom Menschen kommt.
· · · · · · · · Welche Rolle spielt dann die Kunst, bzw. die Kultur in einem solchen Szenario noch in unserer Gesellschaft?
  Whiteman: Eine immer bedeutendere. Daß diese Entwicklung sich verstärkt, ist auch vonnöten, da die Bedeutung von Kunst in unserer Gesellschaft immer noch zu gering ist. Dabei ist die Grundlage unserer Zivilisation die Kreativität, ob nun technisch oder künstlerisch.
· · · · · · · · Wo liegen die Gründe für eine solche Ungleichgewichtung?
  Whiteman: Offensichtlich in der Tatsache, daß wir uns in zunehmendem Wohlstand befinden. Die Bedeutung der technischen Kreativität resultiert aus der Tatsache, daß sie zur Lösung lebensnotwendiger Probleme notwendig ist oder war. Lösungen, die den Primärbedarf an materiellen Gütern und Dienstleistungen sichern sollen. Doch davon ist nicht viel übrig geblieben. Ich schätze, daß über 90% aller technischen Innovationen bei uns dazu dienen, Luxus zu erzeugen. In den Entwicklungsländern z.B. hat die technische Kreativität aber noch ihre ursprüngliche Bedeutung. Dort hat dementsprechend die Kunst noch geringere Bedeutung. Sind die primären Bedürfnisse gedeckt, so vollzieht sich ein ökonomisches Wachstum im Bereich des Luxus. Da unter diesem Aspekt nahezu alles Luxus ist was unsere Gesellschaft produziert, ist es naheliegend, daß sich das Interesse nach einer Sättigung auf anderes richtet. Eben auf die Kultur.
· · · · · · · · Sind damit die hohen Wachstumsraten des Kulturbetriebes zu erklären?
  Whiteman: Sicher. Ich könnte mir keinen anderen Grund vorstellen. Ein wesentlicher Grund, so finde ich, warum die Kunst keine angemessenere Bedeutung besitzt, ist in den antiquierten Produktionsweisen der Kunst ebenso zu sehen, wie eine fehlende Institutionalisierung.
· · · · · · · · Was meinen Sie damit?
  Whiteman: Da unsere Gesellschaft schon lange in erster Linie Luxus erzeugt, müßte die Bedeutung der Kunst schon seit langem starke Zuwachsraten besitzen. Das dem nicht so war, muß also noch andere Gründe haben. Diese sehe ich in der fehlenden Institutionalisierung der bildenden Kunst. Andere Kulturbereiche, wie das Musikgeschäft, oder die Filmproduktion, besonders hier in den USA, sind seit den 20`er Jahren Industrien mit volkswirtschaftlichem Einfluß. Das liegt nur bedingt in der unterschiedlichen Konsumierbarkeit der Produkte dieser Unterhaltungsindustrien und der bildenen Kunst.
· · · · · · · · Das ist doch ein sehr kulturpessimistischer Ansatz.
  Whiteman: Machen wir uns nichts vor. Kunst ist heute ein Unterhaltungsmedium. Kunst wird zum einen visuell konsumiert. Diejenigen, die sich Kunst leisten, tun dies zum andern aus Imagegründen, als Kapitalanlage oder weil sie Schwarzgeld waschen wollen. Die Gründe, warum Künstler produzieren, die Kunstkonzepte und ihre Ideen, all das interessiert den Käufer nur noch am Rande, oder es hat für den Käufer höchstens einen Unterhaltungswert. Kunst als Kunst wird nur von einer kleinen Gruppe von engagierten Sammlern gekauft. Mit diesen Umsätzen könnte aber kein Künstler leben. Selbst die Museen sind zu Unterhaltungspalästen geworden, bei denen die Architekturverpackung oft mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, als die Sammlung selbst. Dort, wo für 2-3 stellige Millionenbeträge postmoderne Museumskomplexe gebaut werden, ist nur noch für Unterhaltung Platz.
· · · · · · · · Es gibt doch auch positive Erscheinungen auf diesem Gebiet.
  Whiteman: Nicht daß wir uns mißverstehen. Ich verurteile diese Entwicklung nicht. Es ist eine reale Entwicklung, die weiter expandieren wird, weil in unserer Wohlstandsgesellschaft die Unterhaltung einen immer größeren Stellenwert bekommt, allein schon aus der Tatsache, daß immer mehr Leute immer mehr Freizeit haben. Die Kunst bekommt immer mehr Unterhaltungscharakter für die Konsumenten, die sich Kunst ansehen oder kaufen. Es ist also eine Angleichung, die Musik-oder Filmindustrie zu beobachten. Der große Unterschied besteht aber in der Produktionsweise und den Organisationsformen. Auf der einen Seite stehen gigantische Konzerne, wie Warner Brothers oder Paramount, auf der anderen Seite produzieren Einzelkünstler in ihren Ateliers Bilder oder andere Kunstwerke.
· · · · · · · · Welche Folgen ziehen Sie aus dieser Diskrepanz?
  Whiteman: Der Einfluß von Einzelkünstlern auf die Gesellschaft ist minimal, währenddessen Unterhaltungskonzerne als gigantische AGs einen großen Einfluß haben. Meiner Ansicht nach sollte der ökonomische Einfluß der Kunst in unserer Zivilisation viel größer sein, da nur ein ökonomischer Einfluß mittel - und langfristig auch andere Einflußgebiete für sich vereinnahmt.
· · · · · · · · Können Sie dies verdeutlichen?
  Whiteman: Kunst ist ein Wert für sich, abgeleitet durch die Bedeutung der künstlerischen Kreativität. Ich empfinde es daher nur fair, daß Kunst den gleichen Einfluß besitzen sollte wie die technische Kreativität, die über das Maß der primären Bedürfnisbefriedigung hinausgeht. Daß der Kunstmarkt zu einem solchen Wachstumsmarkt geworden ist, läßt mich hoffen. Aber ich glaube, daß ohne eine Veränderung der Organisationsform und der Kunstproduktion die Kunst ewig der technischen Kreativität hinterher hinkt.
· · · · · · · · Wie sollte eine solche Organisationsänderung aussehen?
  Whiteman: Zumindest vom Prinzip her ist das ganz einfach. Um einen größeren ökonomischen Einfluß zu erlangen, müßte man genau das tun, was ein Unternehmen tut, um schneller expandieren zu können. Man müßte die Kapitalbasis der Produktion erweitern und gleichzeitig die antiquierte Kunstproduktion überwinden. Konkret sähe das so aus, daß ein Künstler Kunstkonzepte entwickelt, die er als Aktiva in eine Kapitalgesellschaft einbringt. Diese Gesellschaft übernimmt Produktion und Vermarktung. Ziel wäre dann notwendigerweise ein going public. Nur so bekommt der Normalmensch, z.B. als Anleger ein Interesse an der Expansion des Kunstbetriebes. Nur wenn ökonomische Interessen dahinter stehen, kommt es zu einer ernsthaften und dauerhaften Veränderung der Situation. Der Einfluß der Kunst auf die Gesellschaft sollte natürlich kein Selbstzweck sein.
· · · · · · · · Das Ziel, Einfluß auf gesellschaftliche Phänomene auszuüben, ist vor allem von Beuys propagiert worden. Beziehen Sie sich auf ihn?
  Whiteman: Die Überlegungen von Beuys in Bezug auf den sozialen Einfluß der Kunst, auch im Hinblick auf die Erweiterung der kreativen Fähigkeiten aller Menschen, halte ich für wegweisend. Soziales Ziel ist es, die Kreativität aller Menschen zu fördern, um eine Gesellschaftsform zu schaffen, in der ein dem Menschen besser angepaßtes Leben möglich ist.
· · · · · · · · Beuys ist aber zumindest zu Lebzeiten gescheitert. Dies hat sich z.B. in seinen politischen Auseinandersetzungen gezeigt.
  Whiteman: Beuys hat in den Methoden, wie er seine Ziele zu verwirklichen glaubte, einen entscheidenden Fehlgriff getan. Durch Aktionen, Information und Aufklärung kann man meiner Ansicht nach ökonomische Realitäten nicht ändern. Eine kreative Selbstverwirklichung einer Gesellschaft braucht notwendigerweise ein ökonomisches Gerüst. Ein Wachstum unserer gegenwärtigen ökonomischen Situation in ein solch wünschenswertes System kann nur erfolgen, wenn man sich die gegebenen ökonomischen Mechanismen zu nutze macht. Nur durch eine Verbindung von ökonomischem Interesse des Einzelnen mit einer Aufwertung des Wertes von Kunst, ist eine Expansion der künstlerischen Produktion zu erlangen, die notwendige Voraussetzung einer solchen Gesellschaft ist.
· · · · · · · · Mit Kunst ein ökonomisches Wachstum zu erlangen, scheint mir ungewöhnlich. Wie begründen Sie Ihre Vorstellungen?
  Whiteman: Bei einem wirtschaftlichen Wachstum ist es gleichgültig, ob der Mehrwert, der entsteht durch Mehrproduktion von Kunst, bzw. der Höherbewertung von Kunst erlangt wurde. Oder durch eine andere Mehrproduktion, oder Höherbewertung von anderen Gütern. Da die meiste Produktion Luxusgüter oder immaterielle Werte betrifft, ist es gleichgültig, ob nun Kunst einen Teil des Luxuszuwachses substituiert. Voraussetzung ist aber natürlich, daß der Mehrwert von Kunst ökonomisch akzeptiert wird. Je mehr in unserer Wohlstandsgesellschaft Luxus produziert wird, desto höher werden immaterielle Güter bewertet, so auch die Kunst.
· · · · · · · · Soweit ich informiert bin, haben Sie diese sozialen Aspekte Ihrer Gedankenwelt bis dato noch nicht veröffentlicht.
  Whiteman: Das ist richtig. Der Grund dafür ist die sozial-utopistische Dimension dieser Gedanken. Normalerweise äußere ich mich lieber zu handgreiflicheren Dingen, wie der Realisierung von Kunstkonzeptionen. Also Dinge, die ich durch mein Arbeiten beeinflussen kann. Soziale Strukturen wachsen oder verändern sich auch einmal innerhalb kürzester Zeit radikal. Auf jeden Fall kann man sie nicht direkt beeinflussen. Wohl aber kann man mikro-ökonomische Strukturen und Institutionen, wie Unternehmen und Stiftungen, selbst schaffen und steuern. Deshalb auch der scheinbare Umweg der gesellschaftlichen Beeinflussung über die ökonomische Einflußnahme.
· · · · · · · · Wie schätzen Sie die Realisierungschancen dieser Ideen ein?
  Whiteman: Ob sich eine solche Gesellschaft realisieren wird, bleibt dahingestellt. Das muß die Zeit bringen. Prinzipiell denke ich, daß künstlerische Kreativität auf diversen Gebieten viel mehr genutzt werden könnte. Ob nun in Working-groups für soziale Randgruppen, oder als Brain-storming-groups in Unternehmen. Die Vorteile kreativer Arbeit sind psychologisch gut erforscht. Ein positives Selbstwertgefühl wäre für soziale Randgruppen ebenso wünschenswert wie das Lernen von sozialer Intelligenz, wenn in Gruppen gearbeitet wird. Sicher könnte so auch ein zumindest bescheidener Beitrag zur Immunisierung gegen soziale Krankheitserscheinungen, vor allem den verschiedenen Suchtkrankheiten geleistet werden.
· · · · · · · · Gibt es noch weitere Anwendungsmöglichkeiten für die Kunsterzeugung durch Gruppen?
  Whiteman: Auch Unternehmen sollten sich mehr mit der Förderung der allgemeinen kreativen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter widmen. Und dies nicht nur aus den Aspekten des Kultursponsorings und der Corporate identity. Ich finde, daß durch Üben von Kreativität Menschen andere Einstellungen erlangen können, die sich positiv auf ihre ganzheitliche Entwicklung ausüben wird. Es werden Überwindungspontentiale verringert, die eine kreative Einbringung einer Person in beliebige Problemsituationen verhindern. Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Dienstleistungsunternehmen steigt ständig. Da das bedeutendste Kapital dieser Unternehmen die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter sind, liegt es im ureigensten Interesse dieser Firmen, wenn sie die Kreativität und das Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Mitarbeiter stärken. Künstlerische Kreativgruppen wären hier sicherlich ein Weg.
· · · · · · · · Wir danken Ihnen für diese ausführlichen Erläuterungen.
   

 


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